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Sándor Ferenczi

Zur psychoanalytischen Technik

Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse (1919)

Online seit: Sonntag 19. Dezember 2010

Sándor Ferenczi, »Zur psychoanalytischen Technik«, Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Bd. V., 1919, pp. 181-192.

I.
Mißbrauch der Assoziationsfreiheit

Auf der psychoanalytischen Grundregel Freuds, der Pflicht des Patienten, alles mitzuteilen, was ihm im Laufe der Analysenstunde einfällt, beruht die ganze Methode. Von dieser Regel darf man unter keinen Umständen eine Ausnahme gestatten und muß unnachsichtig alles ans Tageslicht ziehen, was der Patient, mit welcher Motivierung immer, der Mitteilung zu entziehen sucht. Hat man aber den Patienten, mit nicht geringer Mühe, zur wörtlichen Befolgung dieser Regel erzogen, so kann es vorkommen, daß sich sein Widerstand gerade dieser Grundregel bemächtigt und den Arzt mit der eigenen Waffe zu schlagen versucht:

Zwangsneurotiker greifen manchmal zum Auskunftsmittel, daß sie die Aufforderung des Arztes, alles, auch das Sinnlose mitzuteilen, wie absichtlich mißverstehend, nur sinnloses Zeug assoziieren. Läßt man sie ruhig gewähren und unterbricht sie nicht, in der Hoffnung, daß sie dieses Vorgehens mit der Zeit müde werden, so wird man oft in seiner Erwartung getäuscht; bis man schließlich zur Überzeugung gelangt, daß sie unbewußt die Tendenz verfolgen, den Arzt ad absurdum zu führen. Sie liefern bei dieser Art oberflächlicher Assoziation zumeist eine ununterbrochene Reihe von Worteinfällen, deren Auswahl natürlich auch jenes unbewußte Material, vor dem der Patient sich flüchtet, durchschimmern läßt. Zu einer eingehenden Analyse der einzelnen Einfalle kann es aber überhaupt nicht kommen, denn wenn wir etwa auf gewisse auffällige, versteckte Züge hinweisen, bringen sie statt der Annahme oder Ablehnung unserer Deutung einfach — weiteres ›sinnloses‹ Material. Es bleibt uns da nichts anderes übrig, als den Patienten auf das Tendenziöse seines Vorgehens aufmerksam zu machen, worauf er nicht ermangeln wird, uns gleichsam triumphierend vorzuwerfen: Ich tue ja nur, was Sie von mir verlangen, ich sage einfach jeden Unsinn, der mir einfällt. Zugleich macht er etwa den Vorschlag, man möge von der strengen Einhaltung der ›Grundregel‹ abstehen, die Gespräche systematisch ordnen, an ihn bestimmte Fragen richten, nach dem Vergessenen methodisch oder gar mittels Hypnose forschen. Die Antwort auf diesen Einwand fällt uns nicht schwer; wir fordern vom Patienten allerdings, daß er jeden Einfall, auch den unsinnigen, mitteile, verlangen aber durchaus nicht, daß er ausschließlich unsinnige oder unzusammenhängende Worte hersage. Dieses Benehmen widerspricht — so erklären wir ihm — gerade jener psychoanalytischen Regel, die jede kritische Auswahl unter den Einfällen verbietet. Der scharfsinnige Patient wird darauf erwidern, er könne ja nichts dafür, daß ihm lauter Unsinn eingefallen sei, und kommt etwa mit der unlogischen Frage, ob er von nun an das Unsinnige verschweigen solle. Wir dürfen uns nicht ärgern, sonst hätte ja der Patient seinen Zweck erreicht, sondern müssen den Patienten zur Fortsetzung der Arbeit verhalten. Die Erfahrung zeigt, daß unsere Mahnung, mit der freien Assoziation keinen Mißbrauch zu treiben, meist den Erfolg hat, daß dem Patienten von da an nicht nur Unsinn einfällt.

Eine einmalige Auseinandersetzung hierüber genügt in den seltensten Fällen; gerät der Patient wieder in Widerstand gegen den Arzt oder die Kur, so beginnt er nochmals sinnlos zu assoziieren, ja er stellt uns vor die schwierige Frage, was er wohl tun soll, wenn ihm nicht einmal ganze Worte, sondern nur unartikulierte Laute, Tierlaute, oder statt der Worte Melodien einfallen. Wir ersuchen den Patienten, jene Laute und Melodien wie alles andere getrost laut werden zu lassen, machen ihn aber auf die böse Absicht, die in seiner Befürchtung steckt, aufmerksam.

Eine andere Äußerungsform des ›Assoziationswiderstandes‹ ist bekanntlich die, daß dem Patienten ›überhaupt nichts einfällt‹. Diese Möglichkeit kann auch ohne weiteres zugegeben werden. Schweigt aber der Patient längere Zeit, so bedeutet das zumeist, daß er etwas verschweigt. Das plötzliche Stillwerden des Kranken muß also stets als ›passagères‹ Symptom gedeutet werden.

Langandauerndes Schweigen erklärt sich oft dadurch, daß der Auftrag, alles mitzuteilen, immer noch nicht wörtlich genommen wird. Befragt man den Patienten nach einer längeren Pause über seine psychischen Inhalte während des Schweigens, so antwortet er vielleicht, er hätte nur einen Gegenstand im Zimmer betrachtet, eine Empfindung oder Parästhesie in diesem oder jenem Körperteil gehabt usw. Es bleibt uns oft nichts anderes übrig, als dem Patienten nochmals auseinanderzusetzen, alles, was in ihm vorgeht, also Sinneswahrnehmungen ebenso wie Gedanken, Gefühle, Willensimpulse, anzugeben. Da aber diese Aufzählung nie vollständig sein kann, wird der Patient, wenn er im Widerstand rückfällig wird, immer noch eine Möglichkeit finden, sein Schweigen und Verschweigen zu rationalisieren. Manche sagen z. B., sie hätten geschwiegen, da sie keinen klaren Gedanken, sondern nur undeutliche, verschwommene Sensationen gehabt hätten. Natürlich beweisen sie damit, daß sie ihre Einfalle trotz gegenteiligen Auftrags immer noch kritisieren.

Sieht man dann, daß die Aufklärungen nichts fruchten, so muß man annehmen, daß der Patient uns nur zu umständlichen Aufklärungen und Erklärungen verlocken und dadurch die Arbeit aufhalten will. In solchen Fällen tut man am besten, dem Schweigen des Patienten das eigene Schweigen entgegenzusetzen. Es kann vorkommen, daß der größte Teil der Stunde vergeht, ohne daß Arzt oder Patient auch nur ein Wort gesprochen hätten. Das Schweigen des Arztes kann der Patient schwer ertragen; er bekommt die Empfindung, daß ihm der Arzt böse ist, das heißt, er projiziert sein schlechtes Gewissen auf den Arzt, und das bringt ihn schließlich dazu, nachzugeben und mit dem Negativismus zu brechen.

Selbst durch die Drohung des einen oder anderen Patienten, vor Langweile einzuschlafen, dürfen wir uns nicht beirren lassen; allerdings schlief in einigen Fällen der Patient für kurze Zeit wirklich ein, doch aus dem raschen Erwachen mußte ich darauf schließen, daß das Vorbewußte auch während des Schlafens an der Kursituation festgehalten hatte. Die Gefahr, daß der Patient die ganze Stunde verschläft, besteht also nicht. [1]

Mancher Patient erhebt den Einwand gegen das freie Assoziieren, daß ihm zu vieles auf einmal einfällt und er nicht weiß, was er davon zuerst mitteilen soll. Gestattet man ihm, die Reihenfolge selbst zu bestimmen, so antwortet er etwa, er könnte sich nicht entschließen, dem einen oder dem anderen Einfall den Vorzug zu geben. In einem solchen Falle mußte ich zum Auskunftsmittel greifen, vom Patienten alles in der Reihenfolge erzählen zu lassen, wie es ihm eingefallen ist. Der Patient antwortete mit der Befürchtung, es könnten so, während er den ersten Gedanken der Reihe verfolgt, die anderen in Vergessenheit geraten. Ich beruhigte ihn mit dem Hinweis, daß alles, was wichtig ist — auch wenn es zunächst vergessen scheint — später von selbst zum Vorschein kommen wird. [2]

Auch kleine Eigenheiten in der Art des Assoziierens haben ihre Bedeutung. Solange der Patient jeden Einfall mit dem Satze einleitet: »Ich denke daran, daß …«, zeigt er uns an, daß er zwischen Wahrnehmung und Mitteilung des Einfalles eine kritische Prüfung einschaltet. Manche ziehen es vor, unliebsame Einfalle in die Form einer Projektion auf den Arzt zu kleiden, indem sie etwa sagen: »Sie denken sich jetzt, ich meine damit, daß …«, oder: »Natürlich werden Sie das so deuten, daß …« Auf die Aufforderung, die Kritik auszuschalten, replizieren manche: »Kritik sei schließlich auch ein Einfall«, was man ihnen ohne weiteres zugeben muß, nicht ohne sie darauf aufmerksam zu machen, daß, wenn sie sich streng an die Grundregeln halten, es nicht vorkommen kann, daß die Mitteilung der Kritik der des Einfalls vorausgeht oder sie gar ersetzt.

In einem Falle war ich genötigt, der psychoanalytischen Regel direkt widersprechend, den Patienten dazu zu verhalten, den angefangenen Satz immer zu Ende zu erzählen. Ich merkte nämlich, daß, sobald der begonnene Satz eine unangenehme Wendung nahm, er ihn nie zu Ende sagte, sondern mit einem ›Apropos‹ mitten im Satze auf etwas Unwichtiges, Nebensächliches ausglitt. Es mußte ihm erklärt werden, daß die Grundregel zwar nicht das Zuendedenken eines Einfalles, wohl aber das Zuendesagen des einmal Gedachten fordert. Es hatte aber zahlreicher Mahnungen bedurft, bis er das lernte.

Auch sehr intelligente und sonst einsichtsvolle Patienten versuchen manchmal, die Methode der freien Assoziation dadurch ad absurdum zu führen, daß sie uns vor die Frage stellen: was aber, wenn ihnen einfiele, plötzlich aufzustehen und wegzulaufen, oder den Arzt körperlich zu mißhandeln, totzuschlagen, ein Möbelstück zu zertrümmern usw. Wenn man ihnen dann erklärt, daß sie nicht den Auftrag bekamen, alles zu tun, was ihnen einfällt, sondern nur alles zu sagen, so antworten sie zumeist mit der Befürchtung, sie könnten Denken und Handeln nicht so scharf trennen. Wir können solche Überängstliche beruhigen, daß diese Befürchtung nur eine Reminiszenz aus der Kinderzeit ist, wo sie solcher Unterscheidung tatsächlich noch nicht fähig waren.

In selteneren Fällen werden allerdings die Patienten von einem Impuls förmlich überwältigt, so daß sie, anstatt weiter zu assoziieren, ihre psychischen Inhalte zu agieren anfangen. Nicht nur, daß sie statt der Einfalle ›passagere Symptome‹ produzieren, sondern sie führen manchmal bei vollem Bewußtsein komplizierte Handlungen aus, ganze Szenen, von deren Übertragungs- oder Wiederholungsnatur sie nicht die geringste Ahnung haben. So sprang ein Patient bei gewissen aufregenden Momenten der Analyse vom Sofa auf, ging im Zimmer auf und ab und stieß dabei Schimpfworte aus. Die Bewegungen sowohl als die Schimpfworte fanden dann in der Analyse ihre historische Begründung.

Eine hysterische Patienten vom infantilen Typus überraschte mich, nachdem es mir gelungen war, sie zeitweilig von ihren kindlichen Verführungstechniken (fortwährendes flehentliches Anschauen des Arztes, auffällige oder exhibitionistische Toiletten) abzubringen, mit einer unerwarteten direkten Attacke; sie sprang auf, verlangte geküßt zu werden, wurde schließlich auch handgreiflich. Es versteht sich von selbst, daß den Arzt auch derartigen Vorkommnissen gegenüber die wohlwollende Geduld nicht verlassen darf. Er muß immer und immer wieder auf die Übertragungsnatur solcher Aktionen hinweisen, denen gegenüber er sich ganz passiv zu verhalten hat. Die entrüstete moralische Zurückweisung ist in einem solchen Falle ebensowenig am Platze, wie etwa das Eingehen auf irgend eine Forderung. Es zeigt sich dann, daß die Angriffslust der Kranken bei solchem Empfang rasch ermüdet und die — übrigens analytisch zu deutende — Störung bald beseitigt ist.

In einem Aufsatz ›über obszöne Worte‹ stellte ich bereits die Forderung, daß man den Patienten die Mühe der Überwindung des Widerstandes gegen das Aussprechen gewisser Worte nicht ersparen darf. Erleichterungen, wie das Aufschreibenlassen gewisser Mitteilungen, widersprechen den Zwecken der Kur, die ja im Wesen gerade darin besteht, daß der Patient durch konsequente und immer fortschreitende Übung über innere Widerstände Herr wird. Auch wenn der Patient sich anstrengt, etwas zu erinnern, was der Arzt wohl weiß, darf ihm nicht ohne weiteres geholfen werden, sonst kommt man um die eventuell wertvollen Ersatzeinfälle.

Natürlich darf dieses Nichthelfen des Arztes kein durchgängiges sein. Wenn es uns momentan weniger um das turnerische Üben der Seelenkräfte des Kranken, sondern um die Beschleunigung gewisser Aufklärungen zu tun ist, so werden wir Einfälle, die wir im Patienten vermuten, die aber jener nicht mitzuteilen wagt, einfach vor ihm aussprechen und ihm auf diese Art ein Geständnis abgewinnen. Die Situation des Arztes in der psychoanalytischen Kur erinnert eben vielfach an die des Geburtshelfers, der sich ja auch möglichst passiv zu verhalten, sich mit der Rolle des Zuschauers bei einem Naturprozeß zu bescheiden hat, in kritischen Momenten aber mit der Zange bei der Hand sein muß, um den spontan nicht fortschreitenden Geburtsakt zum Abschluß zu bringen.
 

II.
Fragen der Patienten

Entscheidungen während der Kur

Ich machte es mir zur Regel, jedesmal, wenn der Patient eine Frage an mich richtet oder eine Auskunft verlangt, mit einer Gegenfrage zu antworten, der nämlich, wie er zu dieser Frage kommt. Hätte ich ihm einfach geantwortet, so wäre die Regung, die ihn zu dieser Frage bewog, durch die Antwort beseitigt worden; so aber wenden wir das Interesse des Patienten den Quellen seiner Neugierde zu, und wenn wir seine Frage analytisch behandeln, vergißt er zumeist, die ursprüngliche Frage zu wiederholen; er zeigt uns damit, daß ihm an diesen Fragen eigentlich gar nichts gelegen war und daß sie nur als Äußerungsmittel des Unbewußten eine Bedeutung hatten.

Besonders schwierig gestaltet sich aber die Situation, wenn der Patient sich nicht mit einer beliebigen Frage, sondern mit der Bitte an uns wendet, in einer für ihn bedeutsamen Angelegenheit, z. B. in der Wahl zwischen zwei Alternativen, die Entscheidung zu treffen. Das Bestreben des Arztes muß immer darauf gerichtet sein, Entscheidungen so lange hinauszuschieben, bis der Patient durch die in der Kur zu gewinnende Sicherheit in die Lage kommt, selbständig zu handeln. Man tut also gut daran, der vom Patienten betonten Notwendigkeit der sofortigen Entscheidung nicht ohne weiteres Glauben zu schenken, sondern auch an die Möglichkeit zu denken, daß solche anscheinend sehr aktuelle Fragen vielleicht von dem Patienten selbst unbewußt in den Vordergrund geschoben wurden, wobei er entweder das eben anzuschneidende Analysenmaterial in die Form der Problemstellung kleidet oder sein Widerstand sich dieses Mittels bemächtigt, um den Fortgang der Analyse zu stören. Bei einer Patientin war letzteres so typisch, daß ich ihr in der gerade herrschenden Kriegsterminologie erklären mußte, sie werfe mir, wenn sie keinen anderen Ausweg mehr finde, solche Probleme wie Gasbomben entgegen, um mich zu verwirren. Selbstverständlich kann der Patient während der Kur wirklich einmal über Bedeutsames unaufschiebbar zu entscheiden haben; es ist gut, wenn wir auch in diesen Fällen möglichst wenig die Rolle des geistigen Lenkers nach Art eines directeur de conscience spielen, sondern uns mit der des analytischen confesseur begnügen, der alle (auch die dem Patienten unbewußten) Motive möglichst klar von allen Seiten beleuchtet, den Entscheidungen und Handlungen aber keine Richtung gibt. Diesbezüglich steht die Psychoanalyse in diametralem Gegensatze zu allen bisher geübten Psychotherapien, der suggestiven wie der ›überzeugende‹.

Unter zweierlei Umständen kommt auch der Psychoanalytiker in die Lage, in den Lebenslauf des Patienten unmittelbar einzugreifen. Erstens, wenn er sich überzeugt, daß die Lebensinteressen des Kranken wirklich unaufschiebbar zu einer Entscheidung drängen, zu der der Patient allein noch unfähig ist; in diesem Falle muß sich aber der Arzt dessen bewußt sein, daß er dabei nicht mehr als Psychoanalytiker handelt, ja, daß aus seinem Eingreifen für den Fortgang der Kur gewisse Schwierigkeiten erwachsen können, z.B. eine unerwünschte Verstärkung des Übertragungsverhältnisses. Zweitens kann und muß der Analytiker zeitweise auch insofern ›aktive Therapie‹ betreiben, als er den Patienten dazu drängt, die phobieartige Unfähigkeit zu irgendeiner Entscheidung zu überwinden. Er erhofft von den Veränderungen der Affektbesetzungen, die diese Überwindung mit sich bringt, den Zugang zu bisher unzugänglichem unbewußtem Material. [3]
 

III.
Das ›zum Beispiel‹ in der Analyse

Kommt uns der Patient mit irgendeiner Allgemeinheit, sei es eine Redensart oder eine abstrakte Behauptung, so frage man ihn immer, was ihm zu jener Allgemeinheit speziell einfällt. Diese Frage ist mir so geläufig geworden, daß sie sich fast automatisch einstellt, sobald der Patient allzu allgemein zu reden beginnt. Die Tendenz, vom Allgemeinen zum Speziellen und immer Spezialisierteren überzugehen, beherrscht eben die Psychoanalyse überhaupt; nur diese führt zur möglichst vollkommenen Rekonstruktion der Lebensgeschichte des Patienten, zur Ausfüllung seiner neurotischen Amnesien. Es ist also unrichtig, dem Hange der Patienten nach Generalisierung folgend, das bei ihnen Beobachtete allzufrüh irgendeiner allgemeinen These unterzuordnen. In der richtigen Psychoanalyse ist wenig Raum für moralische oder philosophische Allgemeinheiten; sie ist eine ununterbrochene Folge von konkreten Feststellungen.

Daß das ›zum Beispiel‹ wirklich das geeignete technische Mittel ist, die Analyse vom Entfernten und Unwesentlichen geradewegs zum Naheliegenden und Wesentlichen hinzuleiten, dazu lieferte mir eine junge Patientin in einem Traume die Bestätigung.

Sie träumte: »Ich habe Zahnschmerzen und eine geschwollene Backe; ich weiß, daß dies nur gut werden kann, wenn Herr X. (mein einstiger Bräutigam) daran reibt; dazu muß ich aber die Einwilligung einer Dame einholen. Sie gibt mir die Einwilligung wirklich und Herr X. reibt mit der Hand an meiner Backe; da springt ein Zahn heraus, als wäre er soeben gewachsen und als wäre er die Ursache des Schmerzes gewesen.«

Zweites Traumstück: »Meine Mutter erkundigt sich bei mir darnach, wie es wohl bei der Psychoanalyse zugeht. Ich sage ihr: ›Man legt sich hin und muß hersagen, was einem einfällt.‹ — ›Was sagt man denn?‹ fragt mich die Mutter. — ›Nun eben alles, alles, ohne Ausnahme, was einem durch den Kopf geht.‹ — ›Was geht einem aber durch den Kopf?‹ fragt sie weiter. — ›Alle möglichen Gedanken, auch die unglaublichsten.‹ — ›Was denn zum Beispiel?‹ — ›Zum Beispiel, daß es einem geträumt hat, daß einen der Arzt geküßt und.. .‹, dieser Satz blieb unbeendigt und ich erwachte.«

Ich will hier nicht in die Einzelheiten der Deutung eingehen, und teile davon nur soviel mit, daß es sich hier um einen Traum handelt, dessen zweites Stück das erste deutet. Die Deutung geht aber ganz methodisch zu Werke. Die Mutter, die hier offenbar die Stelle des Analysierenden einnimmt, begnügt sich nicht mit den Allgemeinheiten, mit denen sich die Träumerin aus der Affäre zu ziehen versucht, und gibt sich nicht zufrieden, bis sie auf die Frage, was ihr zum Beispiel einfällt, die einzig richtige sexuelle Deutung des Traumes zugibt.

Was ich in einer Arbeit über ›Analyse von Gleichnissen‹ behauptete, daß nämlich hinter den anscheinend flüchtig hingeworfenen Vergleichen immer gerade das bedeutsamste Material verborgen ist, gilt also auch von jenen Einfallen, die die Patienten auf die Frage: »Was zum Beispiel?« zum besten geben. 

IV.
Die Bewältigung der Gegenübertragung

Der Psychoanalyse — der überhaupt die Aufgabe zugefallen zu sein scheint, Mystik zu zerstören — gelang es, die einfache, man möchte sagen, naive Gesetzmäßigkeit aufzudecken, die auch der kompliziertesten medizinischen Diplomatie zugrunde liegt. Sie entdeckte die Übertragung auf den Arzt als das wirksame Moment bei jeder ärztlichen Suggestion, und stellte fest, daß eine solche Übertragung in letzter Linie nur die infantil-erotische Beziehung zu den Eltern, der gütigen Mutter oder dem gestrengen Vater, wiederholt, und daß es von den Lebensschicksalen oder der konstitutionellen Anlage des Patienten abhängt, ob und inwieweit er der einen oder der anderen Suggestionsart zugänglich ist. [4]

Die Psychoanalyse entdeckte also, daß die Nervenkranken wie Kinder sind und als solche behandelt werden wollen. Intuitive ärztliche Talente wußten dies auch vor uns, wenigstens handelten sie so, als wüßten sie es. Der Zulauf zu manchem ›groben‹ oder ›liebenswürdigen‹ Sanatoriumsarzt erklärt sich daraus.

Der Psychoanalytiker aber darf nicht mehr nach Herzenslust milde und mitleidsvoll oder grob und hart sein und abwarten, bis sich die Seele des Kranken dem Charakter des Arztes anpaßt; er muß es verstehen, seine Anteilnahme zu dosieren, ja, er darf sich seinen Affekten nicht einmal innerlich hingeben, denn das Beherrschtsein von Affekten oder gar von Leidenschaften schafft einen ungünstigen Boden zur Aufnahme und richtigen Verarbeitung von analytischen Daten. Da aber der Arzt immerhin ein Mensch, und als solcher Stimmungen, Sym- und Antipathien, auch Triebanwandlungen zugänglich ist, — ohne solche Empfänglichkeit hätte er ja kein Verständnis für die Seelenkämpfe des Patienten, — so hat er in der Analyse fortwährend eine doppelte Arbeit zu leisten: einesteils muß er den Patienten beobachten, das von ihm Erzählte prüfen, aus seinen Mitteilungen und seinem Gebaren sein Unbewußtes konstruieren; andernteils hat er gleichzeitig seine eigene Einstellung dem Kranken gegenüber unausgesetzt zu kontrollieren, wenn nötig, richtigzustellen, das heißt die Gegenübertragung (Freud) zu bewältigen.

Die Vorbedingung dazu ist natürlich das Analysiertsein des Arztes selbst; aber auch der Analysierte ist von Eigenheiten des Charakters und aktuellen Stimmungsschwankungen nicht so unabhängig, daß die Beaufsichtigung der Gegenübertragung überflüssig wäre.

Über die Art, wie die Kontrolle der Gegenübertragung einzugreifen hat, ist es schwer, etwas Allgemeines zu sagen; es gibt hier allzu viele Möglichkeiten. Will man einen Begriff davon geben, so tut man wohl am besten, wenn man Beispiele aus der Erfahrung heranzieht.

Am Anfang der analytisch-ärztlichen Tätigkeit ahnt man natürlich von den Gefahren, die von dieser Seite her drohen, am wenigsten. Man ist in der seligen Stimmung, in die einen die erste Bekanntschaft mit dem Unbewußten versetzt, der Enthusiasmus des Arztes überträgt sich auch auf den Patienten, und der frohen Selbstsicherheit verdankt der Psychoanalytiker überraschende Heilerfolge. Es unterliegt keinem Zweifel, daß diese Erfolge nur zum kleineren Teil analytisch, zum größeren aber rein suggestiv, das heißt Übertragungserfolge sind. In der gehobenen Stimmung der Honigmonate der Analyse ist man natürlich auch von der Berücksichtigung, geschweige denn von der Beherrschung der Gegenübertragung himmelweit entfernt. Man unterliegt allen Affekten, die das Verhältnis Arzt-Patient nur hervorzubringen vermag, läßt sich von traurigen Erlebnissen, wohl auch von Phantasien der Patienten rühren, entrüstet sich über alle, die ihnen übelwollen und ihnen Übles antun. Mit einem Wort, man macht sich alle ihre Interessen zu eigen und wundert sich dann, wenn der eine oder der andere Patient, in dem unser Betragen irreale Hoffnungen erweckt haben mag, plötzlich mit leidenschaftlichen Forderungen auftritt. Frauen verlangen vom Arzt geheiratet, Männer von ihm erhalten zu werden, und konstruieren aus seinen Äußerungen Argumente für die Berechtigung ihrer Ansprüche. Natürlich kommt man über diese Schwierigkeiten in der Analyse leicht hinweg; man beruft sich auf ihre Übertragungsnatur und benützt sie als Material Zur weiteren Arbeit. Man bekommt aber so einen Einblick in die Fälle, wo es in der nichtanalytischen oder wildanalytischen Therapie zu Beschuldigungen oder gerichtlichen Anklagen gegen den Arzt kommt. Die Patienten entlarven eben in ihren Anklagen das Unbewußte des Arztes. Der enthusiastische Arzt, der in seinem Heilungsund Aufklärungsdrange seine Patienten ›hinreißen‹ will, beachtet nicht die kleinen und großen Zeichen von unbewußter Bindung an den Patienten oder an die Patientin, doch diese perzipieren sie nur zu gut und konstruieren aus ihnen ganz richtig die ihr zugrunde liegende Tendenz, ohne zu ahnen, daß sie dem Arzte selbst nicht bewußt war. Bei solchen Anklagen haben also merkwürdigerweise beide gegnerischen Parteien recht. Der Arzt kann es beschwören, daß er — bewußt — nichts anderes als die Heilung des Kranken beabsichtigte; doch auch der Patient hat recht, — denn der Arzt hat sich unbewußt zum Gönner oder Ritter seines Klienten aufgeworfen und ließ das durch verschiedene Anzeichen merken.

Die psychoanalytische Aussprache schützt uns natürlich vor solchen Unzukömmlichkeiten; immerhin kommt es vor, daß die mangelhafte Berücksichtigung der Gegenübertragung den Kranken in einen Zustand versetzt, der nicht mehr rückgängig zu machen ist, und den er als Anlaß zur Unterbrechung der Kur benützt. Man muß sich eben damit abfinden, daß jede neue psychoanalytisch-technische Regel den Arzt einen Patienten kostet.

Hat dann der Psychoanalytiker die Würdigung der Gegenübertragungssymptome mühsam erlernt und es erreicht, daß er in seinem Tun und Reden, ja, auch in seinem Fühlen alles kontrolliert, was zu Verwicklungen Anlaß geben könnte, so droht ihm die Gefahr, ins andere Extrem zu verfallen und den Patienten gegenüber allzu schroff und ablehnend zu werden; dies würde das Zustandekommen der Übertragung, die Vorbedingung jeder erfolgreichen Psychoanalyse, hintanhalten oder überhaupt unmöglich machen. Diese zweite Phase könnte als Phase des Widerstandes gegen die Gegenübertragung charakterisiert werden. Die übergroße Ängstlichkeit in dieser Hinsicht ist nicht die richtige Einstellung des Arztes, und erst nach Überwindung dieses Stadiums erreicht man vielleicht das dritte: nämlich das der Bewältigung der Gegenübertragung. 
Erst wenn man hier angelangt ist, wenn man also dessen sicher ist, daß der dazu eingesetzte Wächter sofort ein Zeichen gibt, wenn die Gefühle gegen den Patienten im positiven oder negativen Sinne das richtige Maß zu überschreiten drohen: erst dann kann sich der Arzt während der Behandlung so ›gehen lassen‹, wie es die psychoanalytische Kur von ihm fordert.

Die analytische Therapie stellt also an den Arzt Anforderungen, die einander schnurstracks zu widersprechen scheinen. Einesteils verlangt sie von ihm das freie Spielenlassen der Assoziationen und der Phantasie, das Gewährenlassen des eigenen Unbewußten; wir wissen ja von Freud, daß uns nur hiedurch ermöglicht wird, die im manifesten Rede- und Gebärdenmaterial versteckten Äußerungen des Unbewußten des Patienten intuitiv zu erfassen. Anderenteils muß der Arzt das von seiner und des Patienten Seite gelieferte Material logisch prüfen und darf sich in seinen Handlungen und Mitteilungen ausschließlich nur vom Erfolg dieser Denkarbeit leiten lassen. Mit der Zeit lernt man es, das Sichgehenlassen auf gewisse automatische Zeichen aus dem Vorbewußten zu unterbrechen und die kritische Einstellung an seine Stelle zu setzen. Diese fortwährende Oszillation zwischen freiem Spiel der Phantasie und kritischer Prüfung setzt aber beim Arzt eine Freiheit und ungehemmte Beweglichkeit der psychischen Besetzungen voraus, wie sie auf einem anderen Gebiete kaum gefordert wird.

Anmerkungen

[1Es gehört zum Kapitel ›Gegenübertragung‹, daß auch der Arzt in manchen Stunden an den Assoziationen der Kranken vorbeihört und erst bei gewissen Äußerungen des Patienten aufhorcht; das Einnicken für wenige Sekunden kann unter diesen Umständen vorkommen. Die nachträgliche Prüfung führt meist zum Ergebnis, daß wir unbewußt auf die Leere und Wertlosigkeit der gerade gelieferten Assoziation mit dem Zurückziehen der bewußten Besetzung reagierten; beim ersten, die Kur irgendwie angehenden Einfall des Patienten werden wir wieder munter. Also auch die Gefahr, daß der Arzt einschläft und den Patienten unbeachtet läßt, ist gering anzuschlagen. (Einer mündlichen Aussprache mit Prof. Freud über dieses Thema verdanke ich die volle Bestätigung dieser Beobachtung.)

[2Es ist wohl kaum nötig, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß der Psychoanalytiker dem Patienten gegenüber jede Unwahrheit meiden muß; dies gilt natürlich auch in Fragen, die sich auf die Methode oder auf die Person des Arztes beziehen. Der Psychoanalytiker sei wie Epaminondas, von dem uns Cornelius Nepos erzählt, daß er »nec joco quidem mentiretur‹‹. Allerdings darf und muß der Arzt einen Teil der Wahrheit, z. B. den, dem der Patient noch nicht gewachsen ist, ihm zunächst vorenthalten, das heißt, das Tempo der Mitteilungen selber bestimmen.

[3Siehe dazu meinen Aufsatz ›Technische Schwierigkeiten einer Hysterieanalyse‹ und Freuds Vortrag auf dem V. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Budapest, 1918: ›Wege der psychoanalytischen Therapie‹.

[4›Introjektion und Übertragung.‹

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